Von Kunden, Klienten und Patienten
Kommentar zu einem Kommentar von Hilarion Petzold
In der anregend geführten Diskussion um das Thema Diagnose, die nunmehr zur Organisation einer Tagung (www.wasistderfall.de) in Heidelberg geführt hat, hat Hilarion Petzold die Einladung zu dieser Tagung ausführlich im Systemagazin kommentiert. Besonders spannend finde ich darin die Auseinandersetzung mit dem Kunden-Begriff, den Petzold als „dysfunktionale, ideologisch-systemische Konstruktion“ einordnet.
Der Diskurs ist nicht neu und Petzold widmet sich diesem Aspekt auf breiter Basis. Er argumentiert unter anderem damit, dass die Menschen gar nicht erst gefragt worden seien, ob sie denn vom Patienten zum Kunden „umattribuiert“ werden wollen, und folgert daraus „strukturelle Gewalt“. Er zieht, Bourdieu zitierend („ausbeuterischer Turbokapitalismus“), eine Parallele zu neoliberalistischen Strömungen und einer „subtilen Monetarisierung“ und meint das Recht darauf, in Krankheit und Leiden Hilfe zu erhalten, stehe dem Kundenbegriff entgegen.
Dem ist in vielen Aspekten durchaus zu folgen. Die, wie Petzold schreibt, klandestin ins Spiel kommende neoliberale Markt-Macht ist allgegenwärtig und nicht wegzuleugnen – ob sie im Zuge der Diskussion um den Kundenbegriff nicht gesehen oder gar ignoriert wird, wage ich indes zu bezweifeln.
Auch Kunden sind, wie mir scheint, durchaus leistungsberechtigt (Petzold schreibt das nur Patientinnen zu). Ich meine sogar viel mehr, als dies Patientinnen im real existierenden Gesundheitssystem zugestanden wird (dazu weiter unten) und diese Rechte beziehen sich nicht auf Patienten, sondern auf Menschen, für die sie geschaffen wurden.
Dass, wie Petzold argumentiert, „erkrankte Menschen – sozialisatorisch von „kollektiven mentalen Repräsentationen“ (Moscovici) geprägt – sich als Patientinnen wahrnehmen und Pflegende als Helfende“, erscheint mir eher dysfunktional als begriffsbestätigend. Es ist sozialer Tradition geschuldet und manifestiert eben genau den Aspekt der „helfenden Beziehung“, der, wie Ed Schein (2010) meint, zu einem störenden Ungleichgewicht führt.
Nun – ich bin lieber Kunde oder Klient als Patient. Beim Arzt ebenso wie in der Therapie.
Genau so, wie man die subtile Monetarisierung durch den Kundenbegriff thematisieren und in Frage stellen kann, könnte man auch den Begriff des „Patienten“ etymologisch wie auch soziophilosophisch zerpflücken. Als gelerntem Österreicher fällt mir zuallererst das geflügelte Wort „Hände falten, Goschn halten“ ein. Der Patientenbegriff steht in dieser Tradition für ein lange tradiertes (und sprachlich-kulturell nachhaltig manifestes) Ungleichgewicht zwischen Hilfesuchenden und Helfenden.
Sprache ist mächtig und Worte sagen oft mehr als man denkt – wo sonst ist von „Kunst“ die Rede, wenn Fehler, egal welcher Art, passieren? Wo sonst differenzieren sich Menschen durch ihren sozialen Status wie Primarii, Univ. Professoren und sonstige Götter(!?) in Weiß? Wo sonst etabliert sich eine – im Bourdieuschen Sinne – turbokapitalistische Zwei-Klassen Gesellschaft („wer bezahlt kriegt den OP-Termin früher, wird vom Primarius behandelt, etc.“), als auf den „geduldigen“ (hilfesuchenden, sich aber leider am falschen Ende einer schiefen Ebene befindlichen) Schultern von „Patieninnen“? Hier ist leider nicht vom Wiener Schmäh, sondern von real existierenden und immer wieder nachgewiesenen Unrechts-Situationen im so genannten „Gesundheits“system die Rede. Der Terminus „Patient“ fügt sich in seiner semantischen Ausgeliefertheit nahtlos in dieses Bild.
Das Arzt-Patienten-Modell manifestiert eine höchst machtvolle Beziehung – nicht nur die Diagnose sondern auch die Behandlung/Therapie – beides liegt fest in einer Hand. Eine als Kundenbeziehung verstandene Begegnung könnte diese manifesten Zuschreibungen ein wenig verflüssigen und verlagert Verantwortung semantisch auch hin zur hilfesuchenden Person. Sie bezieht die Person in den Prozess mit ein und lässt dennoch die Hilfeleistung beim Therapeuten/Arzt. Es ist ein Aspekt der Haltung, wie der/m Hilfesuchenden begegnet wird, und die Haltung ist das Fundament, auf das jede weitere Intervention gebaut wird.
Ja, ich bin lieber Kunde als Patient, denn in diesem Sinne verstehe ich mich – dem Arzt, der Therapeutin gegenüber – nicht als bittstellender anspruchsberechtigter Hilfesuchender, sondern als gleichwertiger Partner. Als Mensch, der das Recht hat, auf Augenhöhe behandelt zu werden – Unabhängig von sozialen und ökonomischen Aspekten. Die etymologische (wenn auch als fragwürdig eingestufte) Brücke von Kunde zu kundig ist ein ressourcenorientierter Aspekt, dem ich als Prämisse (und also ebenfalls als Aspekt der Haltung) im Beratungssystem hohe Bedeutung zumesse.
Der Kundenbegriff tritt auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung immer öfter dem „Parteien“-Begriff entgegen. Auch hier soll sprachlich umgesetzt werden, was längst „der Fall“ sein sollte: Menschen denen mit Respekt zu begegnen ist – und nicht mit der Gnade der Mächtigen. Denn die Gesamtheit der Tatsachen bestimmt, was der Fall ist und auch, was alles nicht der Fall ist (L. Wittgenstein).
Letztendlich bleibt es in diesem Zusammenhang egal, ob die Kassen für rogerianische „KlientInnen“ oder für systemische „Kunden“ (wie Petzold schreibt) bezahlen, oder nicht. Das ist eine andere, wenn auch nicht weniger bedeutende, Baustelle. Es geht um Respekt, nicht nur in der helfenden Beziehung. Und dieser Respekt wohnt dem Kundinnen-Begriff nmE mehr inne, als er dem des Patienten jemals innegewohnt hat.
Ed Schein (2010) verweist im Zusammenhang mit dem Aufbau einer helfenden Beziehung warnend auf das Ungleichgewicht, das sich als Folge von Scham, Schwäche und Hilfsbedürftigkeit manifestiert und lädt Helfende ein, zu allererst an der Dekonstruktion dieser Unausgewogenheit zu arbeiten und Augenhöhe herzustellen.
Der Begriff Patient kann ebenso drastisch als Metapher für geduldiges Ausharren und Hoffen am unteren Ende der schiefen Ebene Gesundheitssystem missinterpretiert werden, wie der Kundenbegriff für eine turbokapitalistische, monetarisierte, herzlose Beziehung zwischen Hilfesuchenden und Helfer.
Dennoch bin ich lieber Kunde – denn es macht einen Unterschied für mich. Es zeigt mir, dass Bewegung stattfindet, dass die durch lange Tradition tief verspurten Muster erodieren, dass Denkmäler wanken können und zumindest ansatzweise der Versuch unternommen wird, politisch korrekte Verhältnisse herzustellen, die lange überfällig sind.
Nun ist dies natürlich nicht mit der Einführung anderer Begriffe getan – den Worten müssen Taten folgen. Wirklich ist, wie wir wissen – was wirkt.
Ob Klientin, Kunde oder Patient – aus der Sicht der Helfenden ist es eine Zuschreibung, eine Anmaßung vielleicht. Es ist eine Frage der Haltung mit der wir den Menschen begegnen, und damit eine Frage des Menschenbildes. Eine Diagnose (im Sinne von Entscheidung und Erkenntnis), letztendlich. Und darüber lässt sich – um den Kreis zu schließen – trefflich streiten.
Alexander Ahrer, Februar 2016