Systemische Haltungen und das Menschenbild
Die elementaren Bausteine sozialer Systeme sind nicht Personen, sondern deren Beziehungen zueinander – deren Kommunikation.
Menschen sind für soziale Systeme als Umwelt zu betrachten, die ihre Kommunikation dem sozialen System als konstruktive Elemente zur Verfügung stellen. Menschen sind – systemtheoretisch gesehen – einerseits psychische, andererseits biologische Systeme, und stehen sozialen Systemen gleichwertig gegenüber.
Dieser theoretische Ausschluss der Menschen als Person aus dem Konstrukt eines sozialen Systems (in der Soziologie Niklas Luhmanns) wird manchmal auch missverstanden und führt u.a. zu Aussagen wie: Systemiker haben kein Menschenbild.
Der Psychologe und Psychotherapeut Kurt Ludewig widmete diesem wichtigen Thema einen Vortrag (Auf dem Weg zu einem systemischen Menschenbild, 2010) in dem er sich dem Thema nähert: Die Neigung zur Verdinglichung führt laut Ludewig dazu „der Verständigung zuliebe, fortdauernde Prozesse zu einem konkretisierten Bild des Menschen ‚einzufrieren‘ “. Ludewig hebt die Konstruktivität des Menschenbildes hervor und betont damit dessen Vielschichtigkeit.
Wenn es denn ein systemisches Menschenbild gibt, so steht es in der Denkweise der personzentrierten Therapie, die davon ausgeht, dass der Mensch alles Notwendige für das eigene Wohlergehen bereits in sich trage und seine Situation am besten selbst analysieren könne. Der Therapie komme dabei der Auftrag zu, entsprechende Rahmenbedingungen bereitzustellen, ein günstiges Klima zu schaffen um Selbstheilung möglich zu machen.
Systemische Haltungen, die in vielen Bereichen dem Menschenbild der personzentrierten Therapie Rechnung tragen, prägen die Menschenbilder systemischer Praktikerinnen. Es sind entwicklungsorientierte Menschenbilder, das sich an Lösungen und Ressourcen orientieren, bei gleichzeitiger Wertschätzung der gerade aktuellen Wirklichkeitskonstruktionen des Gegenübers.
Der systemische Zugang zum Menschenbild entfernt sich von der einheitlichen und räumlichen Verdichtung eines konkreten Bildes und basiert auf der Konstruktivität eines gemeinsamen interaktionellen Prozesses bzw. sozialen Systems.
An Stelle eines festgeschriebenen Menschenbildes treten Empathie, Offenheit, Allparteilichkeit, Neugier, etc. – Haltungen, die die Menschen in ihren eigenen Wirklichkeiten annehmen.
Vielfalt (Diversität) tritt an die Stelle der einfältigen Wahrheit oder des zweiwertigen Schwarz-Weißdenkens.
Systemiker sammeln Menschenbilder
Anstelle zu sagen: ‚Systemiker haben kein Menschenbild‘ sollte man besser formulieren: ‚Systemische Praktikerinnen fertigen ihre Menschenbilder nicht selbst an‘.
Systemiker sammeln Menschenbilder. Auf diese Weise kann in jeder systemischen Praxis mit der Zeit eine bunte Vielfalt an Menschenbildern entstehen, die von den abgebildeten Menschen selbst gemalt wurden. Eine Sammlung von Menschenbildern.